Geschrieben von Christiane Würtenberger

Leben voller Zuversicht

Bei all den Sorgen, die man sich in diesen Zeiten über die Zukunft machen kann, fällt es oft nicht leicht, optimistisch zu bleiben. Doch es lohnt sich, stellte Autorin Christiane Würtenberger fest, und – Zuversicht lässt sich üben. Gerade jetzt, im Sommer, ist die beste Zeit dafür

Foto: Marija Savic/ stocksy

Von Sonnenstrahlen geweckt werden, den Schmetterlingen zusehen, die vor mir über den Waldweg flattern, abends mit einer Freundin lange auf dem Balkon sitzen: Im Sommer fällt es mir leicht, Optimistin zu sein. Das viele Draußensein tut mir gut. Alles ist lebendig, wächst und gedeiht. Besonders oft fühle ich dann Dankbarkeit für mein Leben – mit einer Arbeit, die mir meistens Freude macht, mit Freunden und einer Familie, die mich trägt. Im Kleinen bin ich auf jeden Fall ein Mensch, der zuversichtlich ist. Trotzdem ertappe ich mich in letzter Zeit dabei, wie ich das Smartphone entnervt und frustriert weglege, weil ich keine Hiobsbotschaften mehr lesen mag. Mein Vertrauen schwindet, dass wir das alles gut hinbekommen: mit dem Klimaschutz, dem Kampf gegen den Populismus und den weltweiten Flüchtlingsströmen. Was bringt es, wenn ich beschließe, weniger zu fliegen? Wie begegne ich einem Bekannten, der auf Facebook einen Text teilt, der für mich Hetze ist? Ich merke, dass schlechte Nachrichten mich runterziehen. Was kann man dagegen machen?

„Das ist gar nicht so einfach“, meint die Neurowissenschaftlerin und Autorin Maren Urner, mit der ich über das Thema spreche. „Wir haben immer noch ein Steinzeitgehirn, dass viel stärker auf eine schlechte als auf eine gute Nachricht reagiert – damit wir bei Gefahr sofort entsprechend handeln können. In unserer digitalen Welt aber prasseln nun im Sekundentakt schlimme Nachrichten auf uns herein, wenn wir nicht bewusst ab- oder ausschalten. Das verursacht chronischen Stress.“ Urner erlebte während ihrer Promotionszeit am University College London viele interessante Menschen, die an Lösungen für wichtige Probleme arbeiteten. Und fragte sich schon damals, warum darüber kaum berichtet wurde. So entstand bei ihr schließlich die Idee, ein Online-Magazin für konstruktiven Journalismus herauszubringen. Das kehrt das Schlechte in der Welt nicht unter den Teppich, liefert aber mehr Hintergrundwissen, stellt immer auch die Frage, wie es weitergehen kann, und berichtet über Lösungsansätze. Täglich bietet das von ihr 2016 mitgegründete Online-Magazin „Perspective Daily“ seinen Abonnenten eine große Geschichte an, manchmal auch mehrere kleine.

„Angst, Ärger und Wut lösen Hilflosigkeit aus. Positive Gefühle hingegen stärken uns und machen uns handlungsfähig.“

Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Autorin

POSITIVE GEFÜHLE MACHEN UNS STÄRKER
Die Wissenschaftlerin und Gründerin erzählt von einer Studie der Harvard University, die ergab, dass Menschen, die morgens schlechte Nachrichten konsumieren, sich noch viele Stunden später unglücklich fühlen und weniger leistungsfähig sind. Sie erklärt das so: „Wir sind überfordert, weil wir das Gefühl haben, dass in der Welt ganz viel Schreckliches passiert und wir nichts daran ändern können.“ Gleichzeitig würden die Geschehnisse oft verkürzt erzählt, die Einordnung fehle und damit das Verständnis für Relationen und Hintergründe. Letztendlich ist es so, erklärt Urner: „Angst, Ärger und Wut triggern Hilflosigkeit. Positive Gefühle führen dazu, dass wir uns gestärkt und handlungsfähig fühlen.“

Für mich klingt das beruhigend. Ich merke, dass ich mit meinen Gefühlen von Machtlosigkeit nicht allein bin. Und dass ich etwas dagegen tun kann, indem ich bewusst entscheide, wann ich welche Nachrichten konsumiere. Abschalten ist erlaubt, offline sein wohltuend. Optimismus bedeutet ja nicht, naiv zu glauben, dass alles gut ist. Aber auch wenn ich die Realität zur Kenntnis nehme, kann ich doch versuchen, mich stärker auf positive Dinge zu konzentrieren. In letzter Zeit folge ich eher Leuten, die sich für Ziele engagieren, die auch mir wichtig sind. Und ich spreche mit Freunden und Bekannten öfter darüber, was mich bewegt. Das Gemeinschaftsgefühl mit Gleichgesinnten macht mich zuversichtlicher. Ich komme mir zum Beispiel auch beim Plastikmüll-Sammeln am Strand weniger naiv vor, seit ich weiß, dass viele vernünftige, nette Menschen in meinem Umfeld das ab und zu auch machen. Mit Leuten aus unserer Straße haben wir gerade dafür gekämpft, dass ein kleines Waldstück in der Nähe erhalten bleibt – und vorerst gewonnen. Und mit meinem Sohn, der mitten in der Pubertät steckt, komme ich besser klar, wenn ich meine Aufmerksamkeit öfter auf die Dingen lenke, die gut laufen. Ich sage mir: Jeder Schritt zählt. Und manchmal wird aus einem kleinen Schritt ja auch etwas Großes. Das zeigt das Beispiel der Klimaaktivistin Greta Thunberg, die mit ihren Schulstreiks eine weltweite Protestbewegung ausgelöst hat.

ES GEHT UNS MENSCHEN SO GUT WIE NOCH NIE
Zudem ist es hilfreich, sich klarzumachen, dass früher nicht alles besser war, auch wenn das rechte wie linke Politiker gern behaupten, um Stimmung zu machen – im Gegenteil. Davon handelt das aktuelle Buch von Steven Pinker, einem amerikanischen Kognitionspsychologen. Es heißt auf Deutsch Aufklärung jetzt, und Pinker erklärt darin, warum es uns Menschen so gut geht wie noch nie zuvor in der Geschichte: Unsere Lebenserwartung ist höher, es gibt weniger Kriege, weniger Analphabetismus, weniger Gewalt. Natürlich weiß auch Steven Pinker, dass wir nicht in einer Utopiewelt leben. Auch er sieht, dass etwa der Klimawandel uns bedroht, glaubt aber: „Wenn wir uns wirklich anstrengen, an unsere Problemlösungsfähigkeit glauben und unseren Erfindergeist einsetzen. Dann können wir auch ernste Krisen überstehen.“

Foto: Armand Khoury/unsplash

Mir persönlich ist Steven Pinker manchmal etwas zu technologiegläubig, aber mir gefällt, dass er uns dazu auffordert, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Interessanterweise bezeichnet sich Pinker trotzdem nicht als Optimisten, sondern als Possibilisten, einen Menschen also, der die Vernunft einsetzt, wenn es um die Analyse von Problemen geht, um so herauszufinden, was möglich ist. Was das bedeutet? Steven Pinker ist es egal, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Er misst, wie viel drin ist und zieht daraus seine Schlussfolgerungen. In einem Sinne aber ist Pinker ganz bestimmt Optimist – wenn man das Wort im wörtlichen Sinn nimmt und in einem Optimisten einen Optimierer sieht, einen Menschen, der die Welt zu einem besseren Ort machen möchte. Wer daran glaubt, dass das möglich ist, der trägt letztendlich auch die Verantwortung, selbst etwas dafür zu tun. Optimistisch sein können wir übrigens alle, auch wenn es manchen leichter fällt als anderen. Bis zu einem gewissen Prozentsatz ist Zuversicht nämlich angeboren, das merke auch ich, wenn ich meine beiden Kinder beobachte, die bei ähnlicher Erziehung doch recht unterschiedlich zuversichtlich sind. Gleichzeitig ist Optimismus aber auch eine Haltung, eine bestimmte Perspektive auf die Dinge, die man spielerisch einnehmen und üben kann. Und das lohnt sich: Optimistische Menschen, das haben viele Studien gezeigt, leben glücklicher und gesünder. Sie sind bei anderen Menschen auch beliebter als die oft skeptischen Pessimisten. Die amerikanische Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky betrachtet Optimismus deshalb als einen riesengroßen Schatz. Sie sagt: „Optimisten sind von dem Grundgefühl getragen, dass sich das Leben meistern lässt.“ Und weiter: „Wer als Kind die Illusion von Sicherheit und Sorglosigkeit erfahren darf, der wird später eher optimistisch denken.“

„Optimisten sind von dem Grundgefühl getragen, dass sich das Leben meistern lässt.“

Sonja Lyubomirsky, Glücksforscherin

Kein Wunder, dass Glück und Optimismus so eng zusammenzuhängen. Sonja Lyubomirsky fasst die aktuellen Forschungsergebnisse zum Thema so zusammen: Glückliche Menschen verbringen viel Zeit mit Familie und Freunden, sie sind dankbar und hilfsbereit, können Kleinigkeiten wertschätzen und genießen, verfolgen dabei aber auch engagiert ihre Ziele – und sie blicken optimistisch in die Zukunft. Einen Sinn in dem sehen, was man tut, sich gegenseitig helfen, gute zwischenmenschliche Beziehungen pflegen – all das tun auch Optimisten. Das Schöne daran: Das Gehirn belohnt uns für diese angeborene oder erlernte Zuversicht. Es mag zwar schlechte Nachrichten stärker wahrnehmen als positive, aber auf gute Gefühle reagiert es mit der Ausschüttung von Glückshormonen und dem Abbau von Stress.

Foto: Kristina Litvjak/unsplash

EIN WUNSCH-ICH ENTWERFEN
Sonja Lyubomirsky empfiehlt Menschen, die gern optimistischer wären, eine Übung, die sie Wunsch-Ich nennt. Man setzt sich einmal in aller Ruhe hin und malt sich aus, wie die eigene Zukunft aussieht, wenn alles nach Plan läuft. Das schreibt man dann auch auf. Wer ein solches Wunsch-Ich entwirft, der hat es leichter, sich anschließend hoffnungsvoll in eben diese Richtung zu bewegen, aktiv etwas dafür zu tun, dass das Leben den Weg nimmt, den man sich wünscht. Lyubomirsky glaubt, dass sich optimistisch denkende Menschen anspruchsvollere Ziele setzen und dass sie beharrlich daran arbeiten, diese auch zu erreichen.

Optimisten betrachten es eher als Pech, wenn etwas nicht klappt und als völlig normal, dass die Dinge gut laufen, wenn man sich nur Mühe gibt. Bei Pessimisten ist es genau umgekehrt. Ein paar Beispiele: Wenn ich mich nach jahrelangem Schweigen mit einer Freundin versöhnt habe und wir uns dann doch wieder in die Haare kriegen, dann kann ich mir sagen, dass damit zu rechnen war – das ist die pessimistische Weltsicht. Oder ich kann mir überlegen, wie unser neuer Streit entstand und beschließen, es beim nächsten Treffen besser hinzubekommen. Wenn meine Zucchini im Garten nicht gedeihen, hake ich die Sache entweder schnell ab: Ich habe halt keinen grünen Daumen. Oder ich sage mir, es hat zu wenig geregnet, das war Pech – und stecke neue Samen in die Erde. Genauso kann ich mir bei weltbewegenden Problemen klarmachen, dass es nicht immer von heute auf morgen klappen kann mit Lösungen, dass Rückschläge normal sind. Und dann weiterkämpfen. Ich bin mir sicher, Pessimistinnen hätten niemals das Wahlrecht für Frauen zustande gebracht. Die wahre Stunde der Optimisten schlägt, wenn es schwierig wird.

Foto: Kate Hliznitsova/unsplash

SICH GEGENSEITIG DEN RÜCKEN STÄRKEN
Seit ich mich mit dem Thema Zuversicht beschäftige, gelingt es mir häufiger, meine pessimistischen Gedanken umzumünzen, indem ich sie hinterfrage und probeweise eine andere Perspektive einnehme. Ich finde, der Sommer ist eine gute Jahreszeit, um Zuversicht zu üben – nicht nur, weil die Natur sich von ihrer lebendigsten Seite zeigt. Die meisten von uns haben im Sommer auch einfach mehr freie Zeit, fahren in den Urlaub. Ich jedenfalls habe schon einige Ideen für sommerliche Aktivitäten zur Stärkung meines Optimismus: Ein Tagebuch führen, in dem ich ein paar Wochen lang jeden Tag notiere, wofür ich dankbar bin. Alternativ kann man sich auch an jedem Abend fragen, was an diesem Tag besonders gut gelaufen ist und was man selbst dazu beigetragen hat. Ich will mich außerdem nach Initiativen umschauen, die mir gefallen, einfach mal bei einer vorbeischauen und fragen, ob noch helfende Hände gebraucht werden. Kleinigkeiten stärker wertschätzen. Öfter mal was anders, verrückt, zum ersten Mal machen und so mehr Erfolgserlebnisse haben. Denn nicht nur Hilflosigkeit ist eine Feindin des Optimismus. Auch zu viele feste Gewohnheiten machen uns weniger zuversichtlich. Wer nichts wagt, merkt gar nicht mehr, was alles möglich ist. 

„Für unsere Zuversicht brauchen wir viele andere Menschen, auf die wir zählen können.“

Im Englischen gibt es ein sehr schönes Wort: Empowerment. Es ist schwer zu übersetzen, hat aber ganz viel mit eigener Handlungsfähigkeit und mit gegenseitiger Rückenstärkung zu tun. Es geht also nicht nur darum, die eigene Hilflosigkeit zu überwinden, sondern auch anderen dabei zu helfen. Denn genauso wenig wie man allein glücklich sein kann, ist Optimismus etwas fürs stille Kämmerlein. Wir brauchen dazu die vielen anderen, auf die wir zählen können und die auf uns zählen: die Familie, die Freundinnen, Nachbarn, Kollegen und Gleichgesinnte, die sich eine ähnliche Zukunft wie wir wünschen – die aber ebenso gern mit uns feiern, leben, lachen und den Sommer genießen. Ein optimistischeres Ziel kann ich mir kaum vorstellen.

Zum Weiterlesen

> Auswege aus der Hilfslosigkeit <
In ihrem neuen Buch Schluss mit dem täglichen Weltuntergang (Droemer, 16,99 Euro) beschäftigt sich die Neurowissenschaftlerin Maren Urner mit unserer Überforderung durch die ständige Flut an Informationen.

 

> Zuversicht und Zufriedenheit lernen <
Wie das geht, erklärt die Glücksforscherin Sonja Lyubomirsky in ihrem Buch Glücklich sein (Campus, 22,95 Euro).

 

> Früher war alles besser? Von wegen … <
Der Psychologe Steven Pinker beweist in Aufklärung jetzt ganz sachlich und mit vielen Zahlen, warum unsere Welt schon viel besser geworden ist in den vergangenen Jahrhunderten (S. Fischer, 26 Euro).