Winterurlaub

Eine Hütte zum Glück

Schon als Kind verbrachte Redakteurin Yvonne Adamek ihre Winterurlaube in einer Berghütte. Was daran so schön war und warum sie heute gern mit Freundinnen hinreist, schreibt sie hier

Geschrieben von YVONNE ADAMEK

Früher waren meine Winter rot-weiß kariert. Die Vorhänge vor den dünnen Glasscheiben voller Eisblumen, die dicken Daunenbettdecken, aus denen ich immer meine Füße raus – streckte, damit es nicht zu warm wurde, und die Tischdecken über dem massiven Stubentisch – alles war rot-weiß kariert. Seit ich klein war, sieht so für mich Gemütlichkeit aus. Ich muss etwa fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, als ich mit meinen Eltern das erste Mal Urlaub in einer Hütte in den Alpen gemacht habe. Mein Vater war begeisterter Skifahrer, weshalb unsere Hütten möglichst mitten im Skigebiet lagen, oben auf dem Berg. Tür auf, Ski an und die Piste runter – sausen – jeden Tag, zehn Tage am Stück. Was war das herrlich! Ich erinnere mich noch genau an die glasklare Luft und das Knarzen des Schnees unter meinen Skistiefeln. Über Nacht hatten wir meistens heiße Steine in die Schuhe gelegt, damit sie morgens nicht so kalt waren, wenn wir reinschlüpften. War ich erst mal draußen, war mir die Kälte sowieso egal. Hauptsache, ich konnte Ski fahren, und gern im hohen Tempo. Angst? Kannte ich damals nicht. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal in voller Fahrt die Kontrolle verlor, mich überschlug und kopfüber in eine kleine Spalte neben der Piste rutschte. Mein Vater musste mich an den Füßen wieder rausziehen. Kaum draußen, schnallte ich die Skier wieder an und fuhr unbeeindruckt weiter.

Abstand gewinnen vom Alltag: Das geht in den Bergen hervorragend – besonders wenn auch die Unterkunft weit oben liegt

DAS LEISE KNACKEN DES HOLZES
Mindestens genauso sehr wie das Skifahren liebte ich das Zurück – kommen in die Hütte, wenn die Lifte schlossen und es langsam dunkel wurde. Ich habe immer noch das leise Knacken des Holzes im Ohr, das langsam im gekachelten Kamin verbrannte, während ich auf der Bank daneben in eine grobe Wolldecke eingekuschelt Pumuckl-Kassetten hörte. „Hurra, hurra!“ manchmal mehrere Stunden lang. In den Bergen sind die Abende lang.

In den Hütten, in denen wir damals Urlaub machten, gab es keinen Fernseher. Ich finde, das wäre auch irgendwie geschummelt. Man fährt ja nicht ganz weit hoch auf einen Berg in die Einsamkeit, um sich dann Grey’s Anatomy oder die Tages schau anzusehen. Also redeten wir so lange, bis der Hals rau war, oder wir spielten Mensch ärgere dich nicht!, Kniffel und MauMau, bis uns die Augen zufielen oder jemand beleidigt ins Bett ging. Für die musikalische Untermalung sorgte das Hitradio. Bis heute kann ich diverse Hits von Albano und Romina Power im Schlaf mitsingen.

Rodelpartien und Gesellschaftsspiele gehören im Skiurlaub dazu – und wecken schöne Kindheitserinnerungen

WIE ÜBERMÜTIGE KINDER
In den Winterurlauben mit meiner Familie habe ich gelernt, was es bedeutet, wirklich zusammen zu sein, ohne Hektik und Ablenkung. Einfach da sein. Weil oben am Berg spätestens nach Einbruch der Dunkelheit draußen nicht mehr viel los ist, kommt man drinnen zu sich und zu einem neuen Miteinander. Ich konnte schon als Kind dabei zusehen, wie bei meinen Eltern dadurch die Alltagsglocke langsam aufbrach. Am ersten Tag waren sie meist noch hektisch, leicht reizbar und irgendwie durcheinander. Nach ein paar Tagen wurden sie ruhiger und geduldiger – mit mir, meinen Pumuckl-Kassetten und mit sich selbst. Wir kamen einander wieder nah. Das war schön.

Dass das auch heute noch funktioniert, habe ich im letzten Jahr ausprobiert. Mit zehn guten Freunden verbrachte ich eine Woche in den Bergen. Wegen unserer Jobs und unserer Familien hatten wir uns schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr mit genug Zeit gesehen und suchten nach einer Möglichkeit, das in möglichst komprimierter Form nachzuholen. Ich schlug vor, eine Hütte zu mieten (heute nennt sich das übrigens Chalet). 

"Ich erinnere mich noch an den würzigen Geruch und das leise Knacken des Holzes im Kamin."

Es war ein Volltreffer! Bei der Ankunft fühlten wir uns wie im Schullandheim. Am ersten Morgen stolperten wir noch wild durcheinander. Jede wollte rechtzeitig frühstücken, um möglichst früh auf der Piste zu sein. Wenn schon Skiurlaub, dann richtig – mit blauem Berghimmel, von der kühlen Winterluft geröteteten Wangen und griffigem Schnee. So aufgedreht wie Kinder nach dem dritten Glas Cola schossen wir die Hänge hinunter. Abends saßen wir in farblich bedenklichen Unterhose-SockenKombinationen zusammen und redeten bis tief in die Nacht hinein. Ich erfuhr, dass Anna seit Monaten mit dem Gedanken spielt, ihren Uni-Job zu kündigen, und dass Mareike und ihr Mann sich für einige Wochen auf Probe getrennt hatten. Man sollte meinen, Freundinnen wissen so etwas übereinander. Aber oft reichen die kurzen Treffen im Alltag nur für einen schnellen Abriss über die guten Seiten. Jetzt hatten wir endlich Platz für mehr.

SPUREN HINTERLASSEN
An den folgenden Tagen wurde es ruhiger in unserer Hütte, wir wurden ruhiger. Es zählte weniger, was wir taten, sondern eher, dass wir es zusammen machten. Wir verbrachten mehr und mehr Zeit rund um die Hütte, mit einem Buch in der Hand vor dem Kamin oder mit Mütze und Decke draußen auf der Veranda, um die Sterne zu beobachten. Und irgendwie auch, um Spuren zu hinterlassen, nicht unbedingt im Schnee, aber beieinander.

Fotos: UNSPLASH